Feministische TheorieAktuelle Ausgabe: Feministische Theorie

Feminismus und Klassisches

Rosi Braidotti, Judith Butler, Patricia Hill Collins, Raewyn W. Connell, Nancy Fraser, Ute Gerhard, Donna Haraway, Arlie Russell Hochschild, Carol Pateman, Joan Wallach Scott, Eve Kosofsky Sedgwick, Gayatri C. Spivak – in dieser alphabetischen Reihung wurden im nun dritten und vorerst letzten Band der Reihe „Klassikerinnen feministischer Theorie“ „Grundlagentexte“ veröffentlicht, die ab 1986 erschienen sind. Hier setzen die Herausgeberinnen den Beginn „einer neuen Phase feministischer Aktivierung und Theoriebildung“ an und konstatieren für diese Autorinnen, dass sie alle akademische Ausbildungen und Frauenbewegung wie Gender Studies aus unterschiedlichen Perspektiven mitverfolgt und/oder getragen haben. Ein kurzer Text führt jeweils mit biografischem Abriss, Werk und Rezeption ein, diesmal sind die Verfasserinnen dieser Kurztexte auch im Inhaltsverzeichnis erwähnt. Als Lese- und Arbeitsbuch für Studierende, Lehrende und Interessierte soll es Lust auf feministische Theorie machen, zum Schmökern, Blättern, Nachschlagen, Weiterlesen anregen und aufzeigen, dass es viele feministische Theorien gibt. Eine Auswahl unter den (bis auf Sedgwick) noch lebenden feministischen Theoretikerinnen zu treffen, ist in jedem Fall ein Wagnis, die unvermeidbaren Leerstellen werden als „Aufforderung für künftige Projekte“ benannt. Dabei jedoch den Begriff „Klassikerinnen“ zu verwenden, beinhaltet einen klassifizierenden Gestus, der nicht zuletzt angesichts der inspirierenden Inhalte in dieser Textzusammenstellung etwas fehl am Platze ist. mel
 
Klassikerinnen feministischer Theorie. Bd. 3: Grundlagentexte ab 1986. Hg. von Marianne Schmidbaur, Helma Lutz und Ulla Wischermann. 344 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2013 EUR 30,80

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„Feministinsein ist eine Frage der Intelligenz“

So zitiert Sabine Hark, Redakteurin der Jubiläumsausgabe 30 Jahre feministische studien, eine aktuelle Aussage von Silvia Bovenschen, Autorin der ersten grundlegenden Kritik der „Imaginierten Weiblichkeit“ (1979). Ein kürzlich erschienener Artikel (Iris Radisch, DIE ZEIT 2.10.2013) beschreibt weibliche Rollenbilder in Medien und Politik, die zwischen Mädchen und Matrone noch immer die männliche Blickordnung bestimmen und Frauen keinen großen Spielraum lassen, sowie die Bilder weiblicher Selbstimagination, die durch rabiate Strategien der vom Mann imaginierten Weiblichkeit zu entkommen suchen. Damit ergäbe sich die Beantwortung der Frage der „ feministische studien“ „Was ist und wozu heute noch feministische Theorie?“, der sich 32 teils prominente Autorinnen hauptsächlich aus deutschsprachigen Genderforschungsgefilden – keine explizite Migrantin dabei – stellen, praktisch wie von selbst: „Weil wir der Meinung sind, dass wir noch immer in einer Welt leben, in der feministische Kernthemen global gesehen so aktuell und ungelöst sind wie je ...“. Unter die vielen bangen Fragen, die, so möchte ausgerufen werden, endlich gestellt sind, gehören auch jene, ob die Theorien sich in den Fallstricken einer vom Kapitalismus suggerierten Aussichtslosigkeit politisch-kritischer Praxen und einer vom konstruktivistischen Denkschema insinuierten Absage an die solidarische Kollektivierungsmöglichkeit von Frauen verfangen und selbst abgewickelt haben. Selbstkritik gehört eben zum unhintergehbaren Schatz feministischer Theorien. Was es politisch existenziell wieder braucht, ist Vermittlungsarbeit der abstrakt gewordenen Diskurse, theoretisch-praktischer Dissens zu Herrschaft und deren Spaltungsmechanismen und eine Haltung feministischer Differenz zur Welt als Zuwendung zu ihr. Lesen und debattieren! Birge Krondorfer
 
feministische studien. Was wollen sie noch? Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung Nr. 1. 198 Seiten, Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart 2013 EUR 35,00

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Eine intersektionale tour d’horizon

Als eine „‘tour d’horizon‘ durch die Geschlechterforschung“ bezeichnen die Herausgebenden Raewyn Connells Buch „Gender“. Was zunächst ein Stolpern beim Lesen auslöst, erweist sich nach der Lektüre als recht passende Bezeichnung, um den einführenden und zugleich in die Tiefe gehenden Band zu beschreiben. Connell, die durch ihre Studien zu (hegemonialen) Männlichkeiten* bekannt geworden ist, versucht in ihrem Werk den Spagat zwischen dem Anspruch, die wichtigsten Thesen und Theorien zu Feminismus und Gender Studies zu referieren und gleichzeitig den US-eurozentristischen Raum zu verlassen, der ihr jedoch nicht immer gelingt; zu rasend schnell eilt sie von Christine de Pizan im 15. Jahrhundert zur Queer Theory und Körperdiskursen und streut dabei Erkenntnisse aus dem asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Raum ein. Die wesentlichen Stärken des Buches liegen neben der erneuten Berücksichtigung von Männlichkeiten* in dem Versuch, intersektional zu denken. Connell verweist dabei vor allem auch auf die Rolle des Staates, der Ökonomie und der Politik, die sie mit der persönlichen Ebene verbindet und dadurch niederschwellig, ansprechend und nachvollziehbar ihre Argumente für den Beitrag der Geschlechterforschung zur Demokratie, im Sinne von Gleichheit an Partizipation, Macht und Respekt, darlegt. Connell wendet sich dabei gegen eine Ent-Genderung und damit gegen eine scheinbare Neutralisierung. Vielmehr betont sie das zumeist lustvolle (Er-)Leben und Herstellen von Geschlecht und die beständige Wandlung von Geschlechterdynamiken. Trotz einiger Kritikpunkte ein sehr lesenswertes Buch. Ulli Koch
 
Raewyn Connell: Gender. Hg. von Ilse Lenz und Michael Meuser. übersetzt von Reinhart Kößler. 219 Seiten, VS Verlag, Wiesbaden 2013 EUR 35,97

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Queere Paraden

Die Theater-,F ilm und Medienwissenschafter_in Marty Huber liefert uns mit ihrer Studie über Gay-Pride-Paraden nicht nur ein spannendes Werk mit Fallbeispielen aus Wien, Amsterdam, Budapest und Belgrad, sondern auch einen überaus komplexen Theorieteil. Performativität, Sprechakttheorie, Ideologietheorien und Gouvernementalität werden verständlich und innovativ aufgerollt, um dann in die Beschreibungen der politischen und künstlerischen Aktionen einfließen zu können und um als Analyse-Werkzeug zu dienen. Das Kapitel über die Stonewall Riots in New York City im Juni 1969, Geburtsstunde der Christopher-Street-Day-Paraden, frischt das Geschichtswissen auf und ist laut Autor_in Ausgangspunkt ihrer Forschungsfragen. Was bedeutet der Wunsch nach (rechtlicher) Anerkennung von LGBT* und welche Umgangsformen und Analysen von Emotionen in queer-aktivistischen Kontexten lassen sich beschreiben? Widersprüchlich lassen sich so die Paraden, Communities und deren (politische) Forderungen immer wieder zwischen „widerständig“ und „angepasst“ verorten. Marlene Haider
 
Marty Huber: Queering Gay Pride. Zwischen Assimilation und Widerstand. 279 Seiten, Zaglossus, Wien 2013 EUR 19,95

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Raumnehmend

Im Großformat präsentiert Marie-Christina Latsch ihren Band „_ Mind the Gap“, der als Diplomarbeit an der Fachhochschule Münster für Design entstand. Der Unterstrich („gap“) soll den Raum zwischen bzw. jenseits der zweigeschlechtlichen Norm repräsentieren, wie er seit mittlerweile zwei Jahrzehnten im Kontext der Queer Theory zur Diskussion gestellt wird. Der Queer-Theorie ist es auch zu verdanken, dass sich der kritische feministische Blick nunmehr vor allem auf Prozesse der Normalisierung, Sichtbarwerdung und Privilegierung richtet – anstatt auf das „Abweichende“ oder Minoritäre. Zugleich war und ist die Unbestimmtheit des Begriffs „Queer“ immer wieder Gegenstand heftiger Debatten. Latsch versucht, Historizität herzustellen, indem sie Biografien diverser (vornehmlich weißer/westlicher) Persönlichkeiten aus Kunst/Kultur, Politik und Wissenschaft versammelt, darunter Radclyffe Hall, Annemarie Schwarzenbach, Cindy Sherman und Audre Lorde. Sie alle unter das „Queer“-Label zu stellen, mag den Blick auf die vielfältigen Identitätsentwürfe und Empowerment-Strategien richten, eine Analyse der ungleichen Unterdrückungsverhältnisse, mit denen Queers je nach gesellschaftlicher Positionierung konfrontiert sind, bleibt jedoch aus. Zwischen den informativen einzelnen Bios finden sich Artikel, Zitate, Songlyrics und persönliche Stellungnahmen zu Fragen wie „was ist queer?“ oder „wie performst du Gender?“ – wobei allerdings unklar bleibt, wer hier spricht. Die collagenhafte Zusammenstellung der Beiträge und das kopierte, grieselige Bildmaterial weisen auf den Bruch mit traditionellen Repräsentationspolitiken hin. Paradox erscheint dagegen, gerade hier eine historische Linearität konstruieren zu wollen, wenn eine Zeitlinie von 1868 bis 2013 gezogen wird. So bleibt die Publikation immerhin den Widersprüchen, wie sie sich durch die Auseinandersetzung mit „Queer“ ziehen, treu. Vina Yun
 
Marie-Christina Latsch: _ Mind the Gap. Einblicke in die Geschichte und Gegenwart queerer (Lebens)Welten. 160 Seiten, Unrast Verlag, Münster 2013 EUR 20,40

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Gender – Theorie – Soziale Arbeit

Gendertheoretische Bezüge in den Theorien Sozialer Arbeit bilden immer noch die Ausnahme. Das Verhältnis der beiden theoretischen Disziplinen kann als ambivalent und widersprüchlich beschrieben werden. Die Autorinnen sprechen sich dafür aus, dass Gender kein Spezialthema sein kann. Genderansätze und Theorien Sozialer Arbeit stehen auf mindestens drei Ebenen miteinander in Beziehung: auf der Ebene der AdressatInnen Sozialer Arbeit, der Ebene der Sozialen Arbeit als Profession und der Ebene der theoretischen Gegenstandsbestimmung Sozialer Arbeit. Ziel des Bandes ist es, auf diesen drei Ebenen Verbindungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten aufzuzeigen. Die Debatte in beiden Disziplinen ist unabgeschlossen – so kann es im Moment nur darum gehen, bestehende Lücken sichtbar zu machen, sie zu füllen und Hinweise auf noch bestehende Herausforderungen zu geben. Dies gelingt den Autorinnen sehr gut, wiewohl manche Passagen sehr sperrig daher kommen. Das Buch ist sehr engagiert in Anspruch und Anliegen und dennoch hoch theoretisch. Eine Verbindung zur Praxis Sozialer Arbeit darf nicht erwartet werden, daher ist der Band ausschließlich für sehr theoretisch Interessierte geeignet. Gut gefallen haben mir der Blick und die damit verbundene Reflexion der eigenen Professionsgeschichte und -gegenwart. Sehr wichtig erscheinen mir der machtkritische Ansatz auf der Ebene der AdressatInnen und die konstruktivistische Perspektive vor allem auf der Ebene der theoretischen Gegenstandsbestimmung. Susanne Schweiger
 
Gendertheorien und Theorien Sozialer Arbeit. Bezüge, Lücken und Herausforderungen. Hg. von Kim-Patrick Sabla und Melanie Plößer. 257 Seiten, Barbara Budrich. Opladen-Berlin-Toronto 2013 EUR 26,80

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Intersect me – race, class, gender, body

Intersektionalität ist ein spannender neuer Begriff in den theoretischen Zugängen zur Sozialen Arbeit. Der Begriff steht zugleich für einen neuen Diskurs, ein Werkzeug der kritischen Analyse, ein Programm und ein politisches Projekt. Im Diskurs ermöglicht der Begriff die Verknüpfung/überkreuzung von (sozialen) Ungleichheiten und Differenzverhältnissen. Als kritisches Analysewerkzeug bringt er die Wechselwirkungen zwischen sozialen Ungleichheitskategorien zutage, die mehr sind als nur eine Addition von Ungleichheiten. Als Programm meint er die überwindung von Ausschließungs- und Exklusionsprozessen. Der Begriff Intersektionalität ist zudem – meines Erachtens – ein politisches Projekt, indem er die Politik in die Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit zurückbringt - Politik gemeint als Herrschaftskritik auf den Ebenen „Rasse“, Klasse (!), Heteronormativität und Körper. Der Erfolg des Begriffes liegt in seiner Mehrdeutigkeit und Unabgeschlossenheit. Die Wechselwirkungen werden auf drei Ebenen analysiert: Sozialstrukturen, symbolische Repräsentationen und Identitätskonstruktionen. Ausgangspunkte sind die sozialen Praxen der Individuen, wobei vier Handlungsfelder Sozialer Arbeit berücksichtigt werden: Stadt/Urbanität, Transnationalisierung, Familie und Jugend. Es geht den AutorInnen dieses Bandes darum, wissenschaftsbasiert Handlungsoptionen zu entwickeln. Der Band ist spannend und bringt für theoretisch interessierte PraktikerInnen viele neue Perspektiven. Susanne Schweiger
 
Intersektionen von race, class, gender, body. Theoretische Zugänge und qualitative Forschungen in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit. Hg. von Cornelia Giebeler, Claudia Rademacher und Erika Schulze. 279 Seiten, Barbara Budrich, Opladen-Berlin-Toronto 2013 EUR 30,80

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