Alexandra Köbele legt mit diesem Buch eine
äußerst gelungene, intelligente, reflektierte und
gut bedachte Sammlung zu den Themen Transidentität,
Transgender und Transsexualität vor. Sie
bettet fünf persönliche Expert_inneninterviews mit
Transpersonen in einen sorgfältig skizzierten, leicht
lesbaren und gut verständlichen theoretischen Rahmen
zu Queer Theory und Transgenderismus ein.
Die Interviews setzt sie in Dialog mit Postings in
Transgender Internet-Blogs und aktivistischen Texten.
Köbele geht in diesem Buch methodisch sehr
offen, erfrischend und aufrichtig an ihr Thema heran:
Hatte sie anfangs erhofft, einen Bericht über ein
verqueertes Verlassen der Mann-Frau-Dualität vorzulegen,
wollten die Interviewpartner_innen ihre
Transsexualität lieber als Versuch in ein ganz normales
Leben verstanden wissen, ohne Wunsch
nach einer persönlichen Verkörperung der Leerstelle
zwischen den Geschlechtern. Diese aufgezeigte
Widersprüchlichkeit ist eine der großen Stärken
der Auseinandersetzung des Buches: persönliche
Verkörperung zwischen Theorie und Praxis, Essenz
und Sozialem, politischem Anspruch und privaten
Wünschen, Privilegien und Diskriminierung.
Themen der Fragestellungen abgesehen von Körperlichkeiten
und Gender-Performance sind Entscheidungen,
Schlüsselerlebnisse, Mut, Einsamkeit
und Beziehungen. Die zentrale Frage ist, wie es
möglich sein kann, das eigene Leben, die eigene
Wirklichkeit zu erfinden. Eine spannende und kluge
Mischung aus Theorie, Persönlichem und Reflexion.
Karin Schönpflug,
für die Lesbenberatungsbibliothek im Lila Tipp
Alexandra Köbele: Ein Junge namens Sue. Transsexuelle
erfinden ihr Leben. 282 Seiten, Psychosozial Verlag,
Gießen 2011 EUR 25,60
Vor dem gewissen Ende eines jeden Lebens ist
der Prozess des Sterbens so unterschiedlich
wie das gelebte Leben selbst. Die Therapeutin für
integrative gestaltorientierte Verfahren, Monika
Müller, lässt uns teilhaben an der Zeitspanne kurz
vor dem Unausweichlichen, dem Tod, und gibt
Einblicke in ihre Hospiz-Arbeit. In vielen Beispielen
vermittelt sie eine spirituelle Praxis, die sterbenden
Menschen die Würde des Scheiterns ermöglicht.
In unserer leistungsbetonten Welt wird
alles getan, den Tod aus dem Bewusstsein zu verbannen.
So wird das Loslassen oftmals zu einem
verzweifelten Kampf, denn das Gehen-Lassen haben
wir nicht gelernt. Als trügen wir nicht schon
heute den Keim des Seitenwechsels in uns, als ob
das Sterben kein Bestandteil des Lebens wäre …,
schreibt die Autorin. Als ich das Buch in die Hände
nahm, dachte ich zunächst, wieder an eines dieser
vielen esoterischen Beschwörungsbücher geraten
zu sein. Aber Monika Müller liegt es fern, ihre
Hospiz-Erfahrungen missionarisch vor sich her zu
tragen. Vielmehr öffnet sie den Blick für die Unterschiedlichkeit
dieser letzten Lebens-Aufgabe und
vermittelt mit vielen feinen Erfahrungsberichten,
Gleichnissen und Literaturhinweisen, dass die Begleitung
sterbender und trauernder Menschen einen
Raum öffnet, in dem eine hintergründige
Wirklichkeit und ein tieferer Daseinssinn aufscheinen.
Der Tod aber verschließt sich uns als letztes
Geheimnis.
Bärbel Danneberg
Monika Müller: Dem Sterben Leben geben. Die Begleitung
sterbender und trauernder Menschen als spiritueller
Weg. 192 Seiten, Gütersloher Verlagshaus, München 2011
EUR 17,50
Florentine Degen möchte Schriftstellerin werden,
oder auch Schauspielerin. Sie ist Anfang
20 und hat Tagebuchnotizen publiziert, zu denen
sie Erfahrungen inspirierten, die sie im Laufe ihrer
Tätigkeit im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres
in einem Hospiz machte. 248 Seiten beschreibt
sie hauptsächlich in Dialogen fiktiver Begegnungen
mit sogenannten Gästen im Hospiz, deren Angehörigen
und dem Betreuungspersonal. Und von
Anfang an weiß sie eigentlich alles besser, verwechselt
Professionalitätsstrukturen mit Herzlosigkeit
und ist die einzige, die die Menschen wirklich
versteht, ihnen echt beizustehen weiß und ihre
Würde wahrhaftig erkennt. Wenn Degen im Buch
für ihre Unerfahrenheit kritisiert wird, kontert sie
mit selbstbewusster Ignoranz, dass Junge eben anders
denken und ihr ihr Jungsein doch bitte
gegönnt sei. Direkt und unverschämt (!) benennt
sie viel Freud und Leid, aufzuwischenden Kot, sabbernde
Münder, Verwirrtheiten, interessante Gespräche,
Mühsal der Pflege und Todesängste von
Sterbenden sie stellt sich selbst dabei als Tabubrecherin
dar und bedient zugleich respektlosen
Voyeurismus, den sie verschleiert mit Ich hätte
nicht gedacht, dass es so weh tut, das aufzuschreiben.
Worauf das hinausläuft? Sie ist nach nur einem
Jahr völlig erschöpft, fordert mehr Pflegepersonal
und menschenwürdiges Sterben und
schließlich: Es müsste erwünschte Sterbehilfe in
Deutschland doch möglich sein, ohne gleich mit
NS-Euthanasie identifiziert zu werden. Vielleicht
wird sie doch besser Schauspielerin.
mel
Florentine Degen: Ich könnte das nicht. Mein Jahr im
Hospiz. 254 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011
EUR 9,30
Die Psychologin und Neurowissenschafterin
Cordelia Fine hat es sich in ihrem Buch zur
Aufgabe gemacht, der derzeitigen Welle an populärwissenschaftlichen
Büchern zu Geschlechtsunterschieden
im Gehirn Paroli zu bieten. Auch
dieses Buch ist populärwissenschaftlich ausgerichtet:
In leicht verständlicher Sprache und mit Witz
geschrieben, fließen auch Beispiele aus dem Alltag
der Autorin ein.
Im ersten Teil führt Fine eine Fülle von sozialpsychologischen
Studien an, die zeigen, wie sich das
Verhalten und sogar die Fähigkeiten und Kompetenzen
von Gender-Stereotypen beeinflussen lassen.
Im zweiten Teil geht es um neurowissenschaftliche
Argumentationen im engeren Sinn. Die Autorin
hinterfragt populärwissenschaftliche Darstellungen
zur fetal fork und relativiert Ergebnisse
von fMRI-Studien (funktionelle Magnetresonanztomographie).
Sie zeigt dabei überzeugend, wie derzeit
anhand pseudo-neurowissenschaftlicher Behauptungen
Geschlechterstereotype naturalisiert
werden, um so gesellschaftliche Machtungleichheiten
zu legitimieren. Im letzten Teil stellt Fine eindringlich
und anhand vieler Alltagsbeispiele dar,
wie schwierig bis unmöglich eine gender-neutrale
Erziehung ist.
Insgesamt ist der Argumentation sehr leicht zu folgen,
allerdings fällt unangenehm auf, dass Fine
selbst im binären Geschlechtermodell verhaftet
bleibt, und dieses zu keiner Zeit in Frage stellt.
Außerdem wird durch die Alltagsbeispiele immer
wieder deutlich, dass die Autorin aus einer weißen,
akademischen, heterosexuellen Mittelschichtsperspektive
schreibt. Faktoren wie Ethnizität oder
Klasse werden nicht mitgedacht. Das Buch führt
zwar sehr viele Studien an, leider fehlt jedoch eine
theoretische Einbettung.
Sara John
Cordelia Fine: Die Geschlechterlüge. Die Macht der
Vorurteile über Frau und Mann. Aus dem Englischen von Susanne
Held. 475 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2012
EUR 22,60
Welchen Stellenwert nimmt Sex in deinem
Leben ein?, diese Frage stellt Maren im Rahmen
ihrer Intensivbefragung sieben Frauen. So unterschiedlich
die Frauen sind, so unterschiedlich
fallen ihre Antworten und Erfahrungen zum Thema
Sexualität aus. Die Poetin Kathrin Vogel beispielsweise
spricht vom geheimnisvollen Faktor X: Inspiration
und Erregung an den Grenzen von überraschendem
Lustgefühl und genussvoller Passivität.
Esther erzählt wie sie einst als Teenager soft-pornolike
eine romantische und prickelnde Nacht erlebte
doch hier sei nicht zu viel verraten. Die bekannte
Sozialwissenschaftlerin Barbara Sichtermann
hat es mit diesem Buch geschafft, ein breites
Spektrum an Erfahrungen, Wünschen und Zugängen
zu Sex aus weiblicher Sicht zu skizzieren
spannend und interessant zu lesen in Form einer
Erzählung, die mit Interviews verschmilzt. Hinzu
kommt, dass in dieser Erzählung die Beziehung der
Interviewerin immer wieder ins Chaos der Befragungsstudie
hinein bricht, ordnet aber auch vieles
durcheinanderbringt. Leichte und lustvolle Lektüre
und Eros ist eben doch eine Königin!
Marlene Haider
Barbara Sichtermann: Was Frauen Sex bedeutet.
Eine Befragung. 183 Seiten, Brandes & Apsel, Frankfurt/M.
2012 EUR 18,40
Die flott erzählte Geschichte ist die Geschichte
einer Frau, die es nicht leicht hatte im Leben:
eine überforderte Mutter, einen gewalttätigen
Stiefvater, armselige Verhältnisse und eine mangelhafte
Schulbildung, weil ihre schwere Kurzsichtigkeit
zu spät erkannt wurde und sie deshalb in die
Sonderschule ging. Auch als Erwachsene hat Wera
es nicht leicht, ihr Mann ist gewalttätig und eifersüchtig.
Doch sie hat eine besondere Gabe: Sie
kann in die Zukunft sehen. Das Büchlein erzählt
auch davon, wie Wera es lernt, mit ihrer Gabe umzugehen
und wie ihr diese schließlich ein unabhängiges
Leben ermöglicht.
Viel erfährt die Leserin nicht über das Hellsehen
da ist auch das Nachwort von Katharina Fietze zu
wenig differenziert, doch es ist eine interessante Lebensgeschichte.
Erfrischend ist der denkbar unesoterische
Zugang zu der besonderen Gabe des Hellsehens.
vab
Merle Jannsen und Katharina Fietze: Ich sehe was,
was du nicht siehst. Porträt einer hellsichtigen Frau. 126
Seiten, Orlanda Frauenverlag, Berlin 2011 EUR 15,40
1887 gelingt es Nellie Bly (23) als Reporterin
in New York, Polizisten, Richter und Ärzte zu
überzeugen, dass sie irrsinnig sei und sie lässt sich
undercover nach Blackwells Island in eine Irrenanstalt
mit 1600 geisteskranken Frauen einweisen. In
den zehn Tagen Aufenthalt gewinnt sie Einblick in
katastrophale Verhältnisse, in denen Patientinnen
wie Sklavinnen gehalten werden, ohne Aussicht jemals
wieder in Freiheit leben zu können. Sie erfährt
am eigenen Leib die furchtbaren hygienischen Bedingungen,
das verdorbene und unzureichende Essen,
die im Winter beißende Kälte, das zwangsweise
Baden in eiskaltem Wasser. Die Insassinnen sind
der Willkür, dem brutalen Verhalten gelangweilter
und sadistischer Aufseher_innen auf Gedeih und
Verderb ausgeliefert. Wer nicht spurt oder sich beschwert,
wird strafweise in eine Abteilung mit den
gewalttätigsten Gefangenen verlegt.
Die Frauen stammen meist aus der Unterschicht,
rund ein Viertel war weniger als drei Jahre zuvor in
die USA eingewandert, der englischen Sprache oft
nicht mächtig. Aufseher_innen werden hauptsächlich
unter Insass_innen der New Yorker Gefängnisse
rekrutiert.
Das Buch beschreibt die Psychiatrie einer Zeit, in
der blutig geschwollene Ohren, die von Misshandlungen
durch Wärter herrührten, als eindeutige
Symptome des Wahnsinns identifiziert wurden.
Blys Reportage leitete den rasanten Aufstieg der Girl
Stunt Reporter ein und spielte deutlich in die Entwicklung
des investigativen Journalismus in den
USA hinein.
Diane Branellec
Nellie Bly: Zehn Tage im Irrenhaus. Undercover in der
Psychiatrie. Übersetzt von Martin Wagner. 192 Seiten, AvivA
Verlag, Berlin 2011 EUR 19,
Der vorliegende Band vereinigt die Stimmen
zahlreicher Autor_innen, deren gemeinsames
Merkmal ihr in geografisch wie intellektueller
Hinsicht breiter Horizont ist. Sie sind mehrsprachig
und in vielen Kulturen und Ländern zu Hause.
Deutsch ist für die meisten die Sprache des Exillands
oder auch die Sprache, die sie bewusst als Literatursprache
gewählt haben. So geben unter anderem
Illja Trojanow, Milena Michiko Flasar und
Irina BreÏná Auskunft über ihre Haltung zum Deutschen
und zu ihrer literarischen Produktion.
Ein Kapitel enthält Reflexionen, unter anderem von
Abbas Khider und Assraf Gavron zum Schreiben
über politische Ereignisse. Flucht, Exil, Verfolgung
oder freiwillige Migration werden von den
Autor_innen zwar auch als traumatisch und identitätsbedrohend
erlebt, doch werden auch die
Chancen sichtbar, die eine bewegte Autobiografie
mit sich bringt: Ich bekenne mich zu meinem Leben
dort, wo es stattfindet. Das ist die große Entscheidung.
(Gino Chiellino). Weitere Kapitel beschäftigen sich mit Literaturtheorie und Kunst.
Das Buch demonstriert deutlich, wie sehr Internationalität
und Multikulturalität in Mitteleuropa
Normalität geworden sind. Es ist erfreulich, dass
die versammelten Autor_innen nicht unter der
Marke Migrantenliteratur vorgeführt werden,
sondern dass sie Gelegenheit erhalten, ihre unterschiedlichen
Herkunftsorte und Muttersprachen als
Teil einer vielschichtigen differenzierten und vielfach
reflektierten Identität als Weltbürger_innen
vorzustellen.
Sabine Reifenauer
WortWelten. Positionen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur
zwischen Politik und Ästhetik. Hg. von Immacolata
Amodeo, Heidrun Hörner und Jan-Helge Weidemann. 222
Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2011
EUR 20,60
In zehn erschütternden Berichten schildert
Xinran die Schicksale chinesischer Mütter, die
ihre Babys nicht behalten dürfen, wenn diese
Mädchen sind. Gefangen zwischen einem Frauen
verachtenden Traditionalismus, wechselnden politischen
Verhältnissen und der Ein-Kind-Politik
werden sie gezwungen, ihre Töchter auszusetzen
oder zu töten. Ab den 1990er Jahren, als erstmals
Auslandsadoptionen zugelassen sind, dürfen diese
Mütter wenigstens hoffen, dass ihr Kind eine gute
Ersatzfamilie findet. Mit Empathie und viel Feingefühl
bringt Xinran die Frauen dazu, ihre Geschichten
zu erzählen und über Trauer, Verlust, verzweifelte
Liebe und Sehnsucht zu sprechen. Ein
berührendes, mutiges Buch zu einem wichtigen
Thema, das sich vor allem an die vielen chinesischen
Adoptivtöchter in aller Welt wendet, die sich
die Frage stellen, warum ihre chinesische Mutter
sie nicht gewollt hat als Botschaft namenloser
chinesischer Mütter an ihre Wolkentöchter, die
sie lieben und vermissen.
Christa Brauner
Xinran: Wolkentöchter. Übersetzt von Ulrike Wasel und
Klaus Timmermann. 320 Seiten, Droemer, München 2011
EUR 19,60
Was haben die Amazone, Fortuna und die Goldelse
gemein? Wer sind die Stadtteilmütter und
was ist eine Berliner Pflanze? Wo liegt das Frauenviertel?
Dieses hübsche querformatige Berlin-Buch
darf auf keinem feministischen Berliner Stadtspaziergang
fehlen. Es verweist auf bekanntere und unbekanntere
Plätze frauengeprägter Geschichte,
lenkt den Blick auf symbolische Objekte und Orte
des Gedenkens und stellt wichtige Frauen und Organisationen
der Berliner Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft vor, deren Geschichte sich in das
Bild der Stadt eingeschrieben hat und weiter einschreibt.
Eingeteilt ist das Buch in sieben Kapitel
mit den klingenden Namen Avancen, Couragen,
Emotionen, Koloraturen, Malochen, Miseren und
Oasen. Jeder Eintrag ist bebildert, durch kleine
Stadtteilausschnitte leicht lokalisierbar und mit Literaturund Internettipps sowie Querverweisen zu
anderen Einträgen versehen.
Spreeperlen stellt die deutsche Bundeshauptstadt
(und die vieler Herzen) aus einer Frauenperspektive
vor und zeigt deutlich: Berlin ist ein Ort voll aktueller
feministischer Quirligkeit, geprägt von einer
reichen frauenbewegten Geschichte. Die Koffer
sind schon gepackt!
soe
Spreeperlen. Berlin Stadt der Frauen. Hg. von Gabriele
Kämper, Geschäftsstelle Gleichstellung, Senatsverwaltung für
Arbeit, Integration und Frauen, Berlin und Landesarbeitsgemeinschaft
der bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten
Berlins. 240 Seiten, edition ebersbach, Berlin
2012 EUR 10,20
So was liest du? wurde ich mehrmals gefragt,
als ich mit diesem Buch in der Tasche unterwegs
war. Ja, ich finde das Thema sehr interessant.
In Ursula Kossers Buch Hammelsprünge geht es
um das Leben und Arbeiten von jungen Journalistinnen
und Politikerinnen der Bonner Republik
von den 1970er bis in die frühen 1990er Jahre.
Kosser war selbst eine dieser jungen Journalistinnen,
gut ausgebildet, ehrgeizig und trotzdem in
vielen Redaktionen und als Gegenüber von Politikern
bei Interviews nicht ernst genommen, oft
zum Sexobjekt degradiert. Die Frauen lernten eigene
Netzwerke aufzubauen und über die Jahrzehnte
wurden sie zu immer weniger hinterfragten
Mitarbeiterinnen. Kosser sammelte Erinnerungen
von vielen WeggefährtInnen, was das Buch abwechslungsreich
und gut zu lesen macht. Natürlich
schockiert der offene Sexismus, dem sie begegnete,
natürlich hat sich da vieles verändert
doch wie viel sich an den dahinter stehenden
Machtstrukturen geändert hat, wie viel heute aus
PC-Gründen ungesagt, aber doch gedacht bleibt,
sei dahingestellt.
Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt die Lektüre
aus einem anderen Grund, denn während die
Autorin erst darstellt, wie Frauen in der Politik
ständig für ihr Äußeres kritisiert und lächerlich gemacht
werden, lässt sie selbst keine Gelegenheit
aus, über das Aussehen von Frauen zu lästern, sei
es die unpassend gekleidete füllige Politikergattin
oder die bunten autonomen Frauen mit kurz geraspelten
Lesbenfrisuren, die noch dazu nach
süßem Parfum und Schweiß duften.
ESt
Ursula Kosser: Hammelsprünge. Sex und Macht in der
deutschen Politik. 256 Seiten, DuMont Buchverlag, Köln 2012
EUR 19,60
Sibylle Hamann hat für ihr neues Buch Saubere
Dienste den Selbstversuch gewagt: Für
sieben Euro in der Stunde ging sie putzen. Doch ihre
Erlebnisse dabei sind nur der Einstieg in eine
umfassende Annäherung an das Thema der CareArbeiterinnen: Putzfrauen, Kindermädchen, Aupairs,
Altenpflegerinnen. Weltweit verlassen sie ihre
eigenen Familien, um in Familien in reicheren
Ländern Reproduktionsarbeit zu leisten. In manchen
Fällen springen in ihren Herkunftsländern andere
Frauen ein, in anderen Fällen kann diese
Lücke nicht geschlossen werden. Für manche liegt
im Weggehen eine Art Befreiung, für andere ist es
lediglich lebenslanges Schuften. Systematisch beforscht
ist das Thema noch nicht. Doch Sibylle Hamann
trägt viele Fakten zusammen, stellt einzelne
Studienergebnisse praktischen Beispielen gegenüber,
lässt in reportageartigen Abschnitten Betroffene
zu Wort kommen. Die überwiegende Mehrheit
dieser Arbeiterinnen lebt in prekären Verhältnissen,
arbeitet illegal. Wobei (nicht nur) in Österreich der
Staat kein Interesse daran hat, diese Schwarzarbeiterinnen
zu enttarnen. Im Gegenteil werden wie
im Fall der 24-Stunden-Altenbetreuung rechtliche
Konstruktionen geschaffen, um diese Schwarzarbeit
zu legalisieren. Denn ohne sie die Putzfrau
von den Philippinen, die Pflegerin aus der Slowakei
oder die Babysitterin aus Moldau würde hierzulande
viel mehr Dreck liegen bleiben, als der Sozialstaat
im Stande ist aufzuräumen. Ein sehr empfehlenswertes
Buch.
ESt