Mit Geburten/Kontrolle wurde die Habilitation
der Historikerin Maria Mesner im Frühjahr
auch als Buch präsentiert. Anhand der Fallbeispiele
Österreich und USA arbeitet die Autorin an
einer Re-Konstruktion von reproduktiven Politiken
des 20. Jahrhunderts, die von zwei auf den ersten
Blick widersprüchlichen Tendenzen - einer
Vergesellschaftung des Fortpflanzungsverhaltens
sowie parallel dazu einer zunehmenden Individualisierung
- geprägt sind. Für den Vergleich ist die
Identifizierung relevanter AkteurInnen und ihrer
Strategien unter den jeweiligen gesellschaftspolitischen
Rahmenbedingungen zentral. Analysiert werden
drei Bereiche: Sexualberatungsstellen in Wien
und New York in der Zwischenkriegszeit, Politiken
an der Schnittstelle von Erwerbsarbeit und Reproduktionsaufgaben
sowie Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen
ab den späten 1960er-Jahren.
Immer wieder zeigt sich, wie Ausprägungen der politischen
Kultur der beiden Länder die Diskurse
und in weiterer Folge auch politische Entscheidungen
prägten, wobei die Zusammenhänge gesellschaftlicher
Entwicklungsprozesse in einem ständig
fluktuierenden Feld unterschiedlicher Anschauungen
und Machtverhältnisse zu sehen sind. Die Inhalte
dieses Bandes sind das Ergebnis einer jahrelangen
wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem
Themenkomplex, was in Breite, Tiefe und Vielschichtigkeit
von Gegenstand und Analyse deutlich
wird. ESt
Maria Mesner: Geburten/Kontrolle. Reproduktionspolitik
im 20. Jahrhundert. 302 Seiten, Böhlau Verlag, Wien
2010 EUR 39,-
Das Buch verbindet sieben Lebensräume in einer
Spirale der Zeit. Diese erzählen vom Entstehen
und von den Veränderungen einer matriarchalen
Symbolordnung vom Erwachen des
menschlichen Bewusstseins (40.000 bis 3.000
v. Chr.) bis zum Zeitraum von 1938 bis 1958. Die
matriarchale Weltanschauung Kuhns macht sich
auf die Suche danach, wie Frauen unversöhnliche
Gegensätze durch ihre geduldige, kluge und liebevolle
menschliche Beziehungsarbeit immer wieder
möglichst gewaltfrei aufzulösen suchten. Diese
Überzeugung zieht sich wie ein roter Faden durch
diese Historia. Sehr detailliert sind die Ausführungen
über Olympe de Gouges, die in der französischen
Revolution mutig auch die Frauenrechte
einforderte, aber kaum in den Geschichtsbüchern
gewürdigt wird. Im Zeitraum 1850 bis 1938 werden
viele Frauen, die für Selbstbestimmung, Zugang
zu Bildung etc. kämpften, vorgestellt; bekannte
und viele zu Unrecht vergessene, wie z. B.
Louise Otto Peters und Anita Augspurg. Aber sehr
oft machen die Schwerpunkte stutzig. Wo sind die
Frauen der proletarischen Klasse, wo die Frauen
der Commune? Kein Wort über Rosa Luxemburg
oder andere Revolutionärinnen. Für 1918 bis 1938
folgen lange Abhandlungen über den Wert der
Mütterlichkeit, die im Zentrum der deutschen
Frauenbewegung gestanden haben soll. Sehr
berührend wird über Frauen berichtet, die noch
während des Faschismus Widerstand geleistet haben.
Zu offensichtlich wird beim Lesen der Wunsch der
Autorin, historische Fakten oder auch Personen
umzudeuten. Das Buch kann eine Ergänzung der
Fachliteratur über Frauengeschichte sein, ein Ersatz
ist es sicher nicht. Anita Pirker
Annette Kuhn: Frauengeschichte in der Spirale der
Zeit. Schriften aus dem Haus der Frauengeschichte. 376 Seiten,
Barbara Budrich Verlag, Opladen/Farmington Hills 2010
EUR 29,90
Rosa Mayreder war in vielen Feldern tätig: zuerst
als Malerin und Kunstkritikerin, später
auch als Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Sie
zählte zu den Radikalen in der österreichischen
Frauenbewegung und war nicht nur Mitbegründerin
des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins,
sondern auch Mitherausgeberin der in Wien
erscheinenden Zeitschrift Dokumente der Frauen.
Ihre wichtigsten Essays zur Frauenfrage erschienen
in zwei Sammelbänden Zur Kritik der
Weiblichkeit (1905) und Geschlecht und Kultur
(1923). In schonungslosen Worten und prägnanter
Sprache stellt die Autodidaktin Mayreder darin
komplexe Analysen der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse
an. Von der Männlichkeit
ist darin ebenso die Rede wie vom Kanon der
schönen Weiblichkeit und Vom Wesen der Liebe.
Eva Geber hat zentrale Texte aus den beiden Bänden
in einem handlichen Lesebuch zusammengefasst
und mit einem biographische und inhaltliche
Fragen aufgreifenden Nachwort versehen. Sie ermöglicht
damit nicht nur einen bündigen Zugriff
auf die wichtigsten Werke der visionären Theoretikerin
des Feminismus, sondern wirft auch ein
Schlaglicht auf die tiefgreifenden Veränderungen in
Mayreders Denken zwischen dem Erscheinen der
beiden Bände. Johanna Gehmacher
Rosa Mayreder: Zivilisation und Geschlecht. Ein Lesebuch
- herausgegeben und mit einem Nachwort versehen
von Eva Geber. 240 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien 2010
EUR 19,90
Dass die Nonnen in den norditalienischen
Frauenklöstern im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts
ein reges Musikleben entwickelten, ist
mittlerweile nicht nur ExpertInnen bekannt. Wie
aber sah das kulturelle Leben in den deutschsprachigen
Schwesternklöstern aus? Einem solchen
Thema kann man sich - nicht zuletzt aufgrund der
bisher eher spärlichen Forschung - nur umfassend
nähern. Das Buch Musikort Kloster. Kulturelles
Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit, herausgegeben
von Susanne Rode-Breymann, versammelt
daher zu Recht Beiträge, die zunächst die Möglichkeiten
von Bildung und kulturellem Handeln
allgemein in Klöstern untersuchen, wobei auch
deutlich die spezifischen Bedingungen in Frauenklöstern
herausgearbeitet werden. Über die in Gebetsbüchern
nachvollziehbare Frömmigkeit erfolgt
die Annäherung an die musikalische Einbettung
(- auch wenn in diesem Zusammenhang ein Werbetext
für christliche Spiritualität heute seltsam aus
dem wissenschaftlichen Kontext heraus fällt).
Die vielfältigen Beiträge werden ergänzt durch eine
CD, auf der Schola und Ensemble devotio moderna
unter der Leitung von Ulrike Volkhardt zumeist
kurze vokale Stücke mit instrumentalen Anreicherungen
bis hin zu einem Osterspielfragment zu
Gehör bringen. Eine sinnvolle Ergänzung, das kreative
Schaffen von Frauen nicht nur intellektuell zu
erforschen, sondern auch sinnlich wahrnehmbar
zu machen. Regina Himmelbauer
Musikort Kloster. Kulturelles Handeln von Frauen
in der Frühen Neuzeit. Hg. von Susanne Rode-Breymann.
266 Seiten, mit Musik-CD, Böhlau Verlag, Wien 2009
EUR 41,10
Nach Um-Ordnungen der Geschlechter
(2005) präsentiert Claudia Opitz-Belakhal
2010 eine Revision ihrer geschichtswissenschaftlichen
Einführung in die Geschlechtergeschichte. Ihre
Darstellung bündelt wesentliche theoriegeleitete
Debatten und Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen
Disziplinen der Genderforschung sowie
unterschiedlichen historischen Fachrichtungen
zu thematischen Schwerpunkten. Innerhalb der gewählten
Systematik ordnet die Autorin zentrale
Fragestellungen chronologisch, um Entwicklungen
und Verschiebungen von Debatten sichtbar zu machen.
Zahlreiche Querverweise innerhalb des Textes
machen die starke Verwobenheit wichtiger geschlechtergeschichtlicher
Problemstellungen deutlich.
Die erste thematische Einheit spannt einen Bogen
von der Einführung der Kategorie gender als
zentralen Gegenstand feministischer Geschichtswissenschaft
bis zu aktuellen intersectionality-Konzepten.
Im nächsten Schwerpunkt legt die Autorin
verschiedene Ansätze zur Überwindung von Geschlechterdichotomien
dar. In den weiteren Kapiteln
werden Kontroversen zu Geschlecht in Kombination
mit zentralen Begriffen der Geschichtswissenschaft
- Klasse und Stand, Nation und Ethnizität,
Politik - sowie Problematisierungen der
Dichotomie öffentlich-privat thematisiert und zuletzt
Fragen zum Geschlecht der Geschichtsschreibung
erörtert. Opitz Zusammenstellung von Diskussionsbeiträgen
zur Geschlechtergeschichte
bleibt im Wesentlichen auf den US-amerikanischen
und europäischen Kontext beschränkt. Corinna Oesch
Claudia Opitz-Belakhal: Geschlechtergeschichte. Historische
Einführungen Bd. 8. 205 Seiten, Campus Verlag,
Frankfurt/New York 2010 EUR 17,40
100 Jahre Frauenstudium - sind ein Erfolg -
sind nicht genug! Die Beiträge des Sammelbandes,
die rund um die Veranstaltungen zum Jubiläum
100 Jahre Frauenstudium in Preußen -
(mit)organisiert vom Zentrum für transdisziplinäre
Geschlechterforschung (ZtG) der Humboldt Universität
zu Berlin (HU) - 2008 entstanden, beschäftigen
sich mit den Erfolgen von und noch immer
bestehenden Missständen für Frauen und/in
Wissenschaft.
Auf drei Ebenen werden die Errungenschaften,
Schwierigkeiten und offenen Kampfplätze von
Weiblichkeit und/in Wissenschaft aufgezeigt. In
vierzehn Beiträgen thematisieren die AutorInnen einerseits
ermutigende, lustvolle und kämpferische
Auseinandersetzungen zur Situation der Geschlechter-
und Frauenforschung in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft; andererseits Einzelpersonen
und Gruppen in ihrem Kampf um Anerkennung,
Wissenschaftlichkeit und Weiblichkeit; sowie
die Frage nach Disziplinen und ihren Ein- und
Ausschlüssen von Frauen.
Der Band bietet einen ermutigend nüchternen Einblick
in 100 Jahre Frauenstudium in Deutschland
- eine geschichtliche Fundierung, die Mut macht,
weiter für Gleichberechtigung zu kämpfen - und
sich nicht mit bereits erreichten wichtigen Erfolgen
zufrieden zu geben.
Barbara Hamp
Das Geschlecht der Wissenschaften. Zur Geschichte
von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von
Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders und Gabriele Jähnert.
337 Seiten, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2010
EUR 35,90
Die Vergegenwärtigung der historischen Perspektive
im letzthin häufig erörterten Verhältnis
von Geschlecht und Wissen stellt für Christina
Altenstraßer und Gabriella Hauch den Hintergrund
für den Schwerpunkt der aktuellen
Nummer der ÖZG dar. Sichtlich haben sie sich
um eine möglichst breite Streuung von Forschungszugängen
und Wissensgebieten bemüht,
die von Natur- und Geistesgeschichte über Ingenieur-
und Arbeitswissenschaften bis hin zu Fragen
nach dem Verhältnis von Wort und Tat in der
Produktion von Wissen durch AkteurInnen in der
Vergangenheit reicht und die letzten vier Jahrhunderte
in europäischen Gebieten und den USA umfasst.
Schlussendlich führt diese Fragestellung
Historikerinnen auch zu sich selbst zurück, zwei
der sieben Beiträge analysieren das Zusammenspiel
von Wissen und Geschlecht im Schaffen von
Historikerinnen, Franka Maubachs erhellende
Untersuchung sei dabei allen kulturwissenschaftlich,
feministisch und genderorientiert Arbeitenden
besonders empfohlen. Zusätzlich zu den wissenschaftlichen
Beiträgen wird im abschließenden
Forum die Frage nach dem Wissen über Frauen
auf der imaginativen Ebene im Rahmen eines interessanten
künstlerischen Projektes aufgeworfen.
Meike Lauggas
Geschlecht - Wissen - Geschichte. Österreichische
Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 21. Jg.,
Band 1/2010. Hg. von Christina Altenstraßer und
Gabriella Hauch. 212 Seiten, StudienVerlag, Innsbruck/Wien/
Bozen 2010 EUR 24,-
Nach dem Überfall auf Polen wurden nicht
nur weite Regionen im Westen des Landes
dem deutschen Reich einverleibt, sie sollten auch
eingedeutscht werden. Deutsche Frauen waren
an dieser Politik, die für Teile der Bevölkerung dieser
Gebiete Vertreibung, für die Juden und Jüdinnen
darüber hinaus Ghettoisierung und schließlich
den Tod in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern
bedeutete, in unterschiedlichen Funktionen
beteiligt. In den Häusern der Vertriebenen
und Deportierten wurden sogenannte Volksdeutsche
angesiedelt - ihre soziale Betreuung sowie der
Aufbau von Kindergärten und Schulen lagen -
nicht zuletzt wegen der Arbeitskräfteknappheit im
Krieg - weitgehend in den Händen von Frauen.
Viele von ihnen waren Nationalsozialistinnen, die
sich aus Überzeugung an der gigantischen Umsiedlungsaktion
beteiligten; nicht wenige aber
auch suchten einen Beruf, eine Aufgabe oder auch
das Abenteuer. Ihre weiblichen Tätigkeiten -
Fürsorge, Betreuung, Kindererziehung - standen
im Kontext des für so viele Menschen tödlichen
Projektes der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik.
Liz Harveys 2003 erschienene, umfassende
Studie zur Beteiligung von Frauen an der
deutschen Besatzungspolitik in Polen ist längst zu
einem Standardwerk der NS-Forschung geworden.
Endlich liegt es nun in einer überarbeiteten Fassung
in deutscher Übersetzung vor.
Johanna Gehmacher
Elizabeth Harvey: Der Osten braucht dich! Frauen
und nationalsozialistische Germanisierungspolitik.
Übersetzt von Paula Bradish. 479 Seiten, zahlreiche
Abb., Hamburger Edition, Hamburg 2010 EUR 36,-